Warum gibt es Vorgesetzte?
In einem Unternehmen bedarf es einer Führung. Für mich steht das außer Frage. In den meisten (eigentlich allen) Unternehmen wird diese Führungsrolle durch einen Vorgesetzten ausgefüllt.
In einem Unternehmen bedarf es einer Führung. Für mich steht das außer Frage. In den meisten (eigentlich allen) Unternehmen wird diese Führungsrolle durch einen Vorgesetzten ausgefüllt.
Die folgende Aufstellung basiert auf Erfahrungswerten und spiegelt einen “Durchschnitt” der klassischen Aufgaben eines Vorgesetzten wider.
Aufgabenverteilung – Dies ist die “klassische” Aufgabe eines Vorgesetzten. Er bestimmt, was zu tun ist, wer es tut und bewertet das Ergebnis – meist auf Basis selbst bestimmter Kriterien. Die Mitarbeiter haben hier oft auch ein Vorschlagsrecht oder können sich in einem gewissen Rahmen selbst organisieren. Der Freiraum der Selbstorganisation wird dabei durch den Vorgesetzten bestimmt.
Zielvereinbarung – Der Vorgesetzte bestimmt gemeinsam oder in Zusammenarbeit mit dem Mitarbeiter Ziele (individuelle und Unternehmensziele) für eine bestimmte Zeitspanne (meist Kalenderjahr). Die Erreichung der Ziele kann der Mitarbeiter mehr oder weniger selbst beeinflussen.
Der Grad der Erreichung der Ziele und damit auch die Höhe des Jahresbonus bzw. Tantieme bestimmt dann der Vorgesetzte.
Weiterentwicklung – Der Vorgesetzte entscheidet (meist) in Zusammenarbeit mit dem Mitarbeiter über die Weiterentwicklung. Dabei werden Karriereziele in den Fokus gerückt und dann entschieden, wie sich der Mitarbeiter dort hin entwickeln kann. Auf Basis dieser Entscheidung werden dann Schulungen festgelegt, die der Mitarbeiter durchlaufen will. Zusätzlich dazu kann der Mitarbeiter noch weitere Schulungen vorschlagen, die dann durch den Vorgesetzten genehmigt oder abgelehnt werden.
Wie sich die Karriere des Mitarbeiters dann wirklich ausgestaltet, hängt oft vom Vorgesetzten ab. Hier spielt der “Nasenfaktor” gerne eine wesentliche Rolle. Deswegen investieren Mitarbeiter viel in ein gutes Verhältnis zu ihrem Vorgesetztem, auch wenn ihnen das innerlich widerstrebt.
Anlaufpunkt bei Problemen – Hat der Mitarbeiter ein Problem, dass ihm die Arbeit erschwert, so wendet er sich an seinem Vorgesetzten. Ist der Vorgesetzte selbst das Problem, so gibt es andere Anlaufstellen (z.B. den Betriebsrat, den Vorgesetzten des Vorgesetzten). Diese Option wird allerdings sehr selten gezogen, da dies das Verhältnis zwischen Vorgesetztem und Mitarbeiter meist nachhaltig verschlechtert bzw. unmöglich macht. Meist frisst der Mitarbeiter Probleme mit dem Vorgesetzten in sich hinein oder beschwert sich bei Kollegen. Als Resultat verschlechtert sich die Stimmung in der Abteilung und/oder der Mitarbeiter kündigt innerlich und dann meist auch praktisch.
Bestimmung des Gehaltes – Abhängig vom Unternehmen bestimmt bzw. verhandelt der Vorgesetzte direkt mit dem Mitarbeiter das Gehalt. Dabei spielen Vorgaben der Personalabteilung und des höheren Managements eine Rolle. Ausgenommen hiervon sind Unternehmen/Positionen, deren Gehaltszahlung unter einen Tarifvertrag fallen. Hier bestimmt der Vorgesetzte (meist wieder in Abstimmung mit Personalabteilung und höherem Management) die Tarifgruppe, in die der Mitarbeiter eingestuft werden soll.
Auch hier spielt der “Nasenfaktor” und das Verhältnis zum Vorgesetzten erfahrungsgemäß eine große Rolle.
Kritik und Sanktionieren – Verhält sich der Mitarbeiter nicht entsprechend seinem Arbeitsvertrag oder anderer bindender Unternehmensrichtlinien, so ist es im Ermessen des Vorgesetzten (meist im Zusammenspiel mit der Personalabteilung) dies zu kritisieren oder im schlimmsten Fall zu sanktionieren. Erfahrungsgemäß werden die “Maßnahmen” oft durch subjektive Ansichten des Vorgesetzten beeinflusst. So habe ich persönlich erlebt, dass ein Mitarbeiter dafür ermahnt wurde, dass der 12 Minusstunden angesammelt hatte. Es wurde ihm angedroht, Urlaubstage zu streichen, obwohl die Minusstunden des Mitarbeiters nachweislich eine Seltenheit waren, er gute Arbeit leistete, loyal war und ein schneller Ausgleich zuverlässig stattfinden würde. Der Vorgesetzte hatte aber eine schlechte Meinung von dem Mitarbeiter und wollte ihn los werden. Das zeigt, dass auch bei Kritik und Sanktionen der “Nasenfaktor” eine Rolle spielt.
Budgetverantwortung – Der Vorgesetzte bestimmt die Arbeitsmaterialien eines Mitarbeiters und in welcher Anzahl/Qualität er diese zur Verfügung bekommt. Die Entscheidung zur Budgetfreigabe durch den Vorgesetzten (vor allem von ungeplanten Beschaffungen) ist sehr oft für einen Mitarbeiter mit viel Überzeugungsarbeit verbunden.
Der Vorgesetzte spielt im Arbeitsalltag eines Mitarbeiters also eine zentrale Rolle. Das Verhältnis zum “Chef” ist ausschlaggebend für die Zufriedenheit des Mitarbeiters und dessen Karriere im Unternehmen. Viele Arbeitnehmer fokussieren sich sehr stark auf Ihren Chef. Dies kann auch zu Lasten des Arbeitsklimas gehen, weil es oft ein Buhlen um die Gunst des Chefs gibt.
Schaut man sich die Aufgaben der Rolle an, erkennt man in der Essenz drei Kernpunkte:
Wie nun könnte man diese Aufgaben ohne Vorgesetzten umsetzen?
In einem agilen Umfeld sind Teams selbstorganisiert. Sie übernehmen die Verantwortung für ein Produkt oder ein Thema zu 100%. Sie achten darauf, dass nicht mehr Geld ausgegeben wird, als da ist. Das schließt auch die Verteilung der Gehälter und die Beschaffung von notwendigem Arbeitsmaterial mit ein.
Das Team übt auch Kritik (Retrospektive) und setzt Maßnahmen (teilweise auch Sanktionen) um. Je nach dem wie “erwachsen” das Team ist, wird das Team bei Bedarf noch von Außen durch einen Coach unterstützt und in Härtefällen die Personalabteilung eingeschaltet. Letzteres ist erfahrungsgemäß eher selten.
Der Product Owner (PO) des Teams priorisiert Aufgaben und beschließt, ob ein vom Team geschätzter Invest sich lohnt oder nicht. Das Team setzt diese dann in Selbstorganisation um. Der PO bestimmt auch die entfernten Ziele und passt diese ggf. an.
Jeder Mitarbeiter kann sich einen persönlichen Coach (ggf. auch mehrere) auswählen. Diese unterstützen sie/ihn bei der persönlichen Entwicklung. Dazu werden zusammen Seminare ausgewählt, die Teilnahme an Kongressen organisiert oder auch Einzelcoachings abgehalten.
Bei Problemen des Mitarbeiters werden diese analysiert und Lösungsmöglichkeiten erarbeitet. Dies kann auch in Zusammenarbeit mit dem Team des Mitarbeiters und dessen Coach erfolgen.
Ähnlich wie auch bei der persönlichen Weiterentwicklung, wählt sich der Mitarbeiter einen fachlichen Coach.
Dieser ist idealerweise im Team des Mitarbeiters oder begleitet dieses. Damit weiß er/sie genau, welche fachlichen Fähigkeiten gefordert sind und kann die Ausbildung des Mitarbeiters optimal begleiten. Er schlägt hierbei auch die Richtung der Ausbildung vor und berät über die Vorteile dieser Richtung. Eine Entscheidung darüber fällt aber allein und eigenverantwortlich der Mitarbeiter.
Ein Vorgesetzter steht der Agilität in Unternehmen entgegen. Er ist eine Instanz von der ein großer Teil der Arbeit seiner Mitarbeiter abhängig ist. Ist er nicht verfügbar, überlastet oder von einer Entscheidung überfordert, so behindert das die Arbeit im Team und verlangsamt die Arbeit. Eine 100% Eigenverantwortung ist so nicht möglich.
Vorgesetzte schränken die Entfaltung eines Mitarbeiters unwillkürlich ein. Dies geschieht automatisch durch z.B. Zielvorgaben, scharfe Trennung von Verantwortlichkeiten, Vorgabe des Entwicklungspfades, usw.. Will man für ein Unternehmen das volle Potential eines Mitarbeiters ausschöpfen, so steht dem der Vorgesetzte klar im Weg. Im schlimmsten Fall kann dies sogar zur Resignation und Kündigung führen.
Des Weiteren kann ein Vorgesetzter für die Motivation eines Mitarbeiters ein entscheidendes Problem sein. Vor allem die persönliche Ebene ist hier ein ernstzunehmendes Problem. Auch wenn nur der Eindruck entsteht, dass der Vorgesetzte subjektive und keine fairen Kriterien für eine Entscheidung ansetzt, kann das ein Team nachhaltig schädigen und ein effizientes Arbeiten unmöglich machen.
Ein Vorgesetzter zu sein, ist auch ein Karriereziel. Ein Mitarbeiter der dieses Ziel erreichen will, richtet seine Arbeit auch daran aus, dieses Ziel zu erreichen. Dies kann die Zusammenarbeit schwächen und bildet oft auch eine Konkurrenz zum Ziel des Teams.
Man könnte jetzt leicht sagen: “Ja, klar.”, aber in der Realität sind Hierarchien vorhanden, die man nicht von heute auf morgen abschaffen kann. Aber es empfiehlt sich bei der agilen Transformation einer Organisation, auch die Vorgesetzten mit zu betrachten.
Beim Neuaufbau einer Organisation kann man auch auf Vorgesetzte verzichten.
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